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Wirtschaftliche Basishilfe: Bitteres Ende für Sans-Papiers

In der Stadt Zürich leben und arbeiten rund 10‘000 Sans-Papiers. Sie leisten einen wichtigen Beitrag in unserer Gesellschaft unter teilweise extrem prekären Arbeits- und Lebensbedingungen und ohne rechtliche und finanzielle Absicherungen.
Die Stadt Zürich erkannte, dass während der Coronakrise vor allem Ausländer:innen in prekären Arbeitsverhältnissen in Not gerieten und durch die Maschen des Systems fielen. Deshalb startete sie letzten Sommer das Pilotprojekt „Wirtschaftliche Basishilfe“ (WBH), nun muss dieses wegen einer gutgeheissenen Aufsichtsbeschwerde beim Bezirksrat und der verpassten Rekursfrist vorzeitig gestoppt werden. Eine Zusammenschau der Ereignisse und was diese für Sans-Papiers bedeuten.

Wirtschaftliche Basishilfe
Mit der wirtschaftlichen Basishilfe sollten alle Stadtbewohner:innen in finanziellen Notlagen, die mindestens zwei Jahre in der Stadt Zürich und fünf Jahre in der Schweiz leben, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, niederschwellig Hilfe erhalten. Die finanzielle Hilfe sollte befristet sein und als Überbrückung dienen. Das Projekt ist als Reaktion auf die in der Pandemie sichtbar gewordene Armut entstanden. Die Coronakrise hat vor allem Ausländer:innen in prekären Beschäftigungsverhältnissen in der Stadt Zürich in existenzielle Nöte gebracht. „Aus Angst vor negativen migrationsrechtlichen Konsequenzen verzichten aber viele der Betroffenen auf den Bezug von Sozialhilfe. Die Folge: Ein Leben in Armut mitten in unserer Stadt“, schreibt die Stadt Zürich in ihrer Medienmitteilung vom Mai 2021.


Auch Sans-Papiers sind Teil unserer Stadt
In existenzielle Nöte sind auch viele der 10‘000 in der Stadt Zürich lebenden Sans-Papiers geraten. Diese arbeiten oft in sehr prekären Arbeitsverhältnissen, meist in Privathaushalten, ohne gesicherte Arbeitsbedingungen. In der Krise haben viele von einem Tag auf den anderen ihre Jobs verloren. Wegen der Homeofficepflicht waren viele Menschen vermehrt zuhause, aus Angst vor einer Ansteckung mit Covid-19 oder weil sie sich nun selber um den Haushalt und die Kinderbetreuung kümmern konnten, wollten viele Arbeitgeber:innen keine Hausarbeiterin mehr in ihrem Haushalt beschäftigen. Damit verloren viele Sans-Papiers auf einen Schlag ihre Einnahmequellen und somit ihre finanzielle Existenz. Weil die Not so gross war, lancierten wir gleich zu Beginn der Pandemie einen Spendenaufruf. Dank grosszügigen Spenden von Privatpersonen, Stiftungen, des Kantons und der Stadt Zürich konnten wir vielen Sans-Papiers aus der gröbsten Not helfen.
Der Zürcher Stadtrat hat die Not gesehen und anerkennt, dass in der Stadt Zürich auch rund 10‘000 Sans-Papiers leben und arbeiten. Auch diese sollten in Notsituationen Zugang zu finanzieller Unterstützung haben. Die SPAZ übernahm als Anlaufstelle für Sans-Papiers die Nothilfeauszahlung an Sans-Papiers. Seit letztem Sommer konnten wir mit der wirtschaftlichen Basishilfe 26 Erwachsene und 7 Kinder in schwierigen finanziellen Situationen aus der gröbsten Not helfen. Zu zwei Drittel waren es Frauen, mehrheitlich Hausarbeiterinnen, zu einem Fünftel Kinder.


Widerstand von rechts
Das Projekt stiess, wie zu erwarten war, auf Widerstand von rechts. Mitglieder der FDP reichten beim Bezirksrat eine Aufsichtsbeschwerde ein, dieser hat die WBH am 9. Dezember 2021 wieder aufgehoben, da die wirtschaftliche Basishilfe gegen ausländerrechtliche Bestimmungen des Bundes verstosse. Der Stadtrat beabsichtigte beim Regierungsrat gegen diesen Entscheid Rekurs einzulegen. Da die aufschiebende Wirkung entzogen wurde, mussten die Nothilfeauszahlungen per sofort gestoppt werden.
Kurz vor Weihnachten war dies ein harter Schlag. Gerade in der Weihnachts- und Ferienzeit haben viele Sans-Papiers sowieso weniger Arbeit.


Hilfe von der Kirche
Das sah auch die reformierte Kirchgemeinde der Stadt Zürich so. Sie reagierte schnell und stellte 100‘000 Franken zur Überbrückung während des Rechtsstreits zur Verfügung. So konnten wir dank der reformierten Kirchgemeinde Stadt Zürich weiterhin Stadtzürcher Sans-Papiers in existenziellen Nöten finanziell unterstützen.


Verpasste Rekursfrist
Anfangs Februar kam dann die schockierende Nachricht: Die Stadtkanzlei hatte die Rekursfrist verpasst, der Brief wurde nicht rechtzeitig zur Post gebracht. Damit ist das Pilotprojekt „Wirtschaftliche Basishilfe“ definitiv vom Tisch.
Zusätzlich zu den von der reformierten Kirchgemeinde Zürich bereits zur Verfügung gestellten 100’000 Franken, haben auch Katholisch Stadt Zürich sowie die katholische Kirche im Kanton Zürich jeweils 50’000 Franken gesprochen. Die vier am Pilotprojekt beteiligten Organisationen Caritas Zürich, Schweizerisches Rotes Kreuz Kanton Zürich, Solidara Zürich und die Sans-Papier Anlaufstelle Zürich SPAZ werden die noch vorhandenen Finanzmittel in den kommenden Wochen im Rahmen der wirtschaftlichen Basishilfe auszahlen.


Die Nachfrage bestimmt die Arbeitsmöglichkeiten für Sans-Papiers

In der Schweiz leben und arbeiten rund 100’000 Sans-Papiers, etwa 20’000 davon im Kanton Zürich und rund 10’000 in der Stadt Zürich. Sie arbeiten in der Gastronomie und in Privathaushalten zu teilweise extrem prekären Arbeitsbedingungen. Im März 2020 wurde im Auftrag des Kanton Zürichs eine Studie zu Sans-Papiers im Kanton Zürich veröffentlicht. Diese besagt ganz klar, dass die Nachfrage den Arbeitsmarkt für Sans-Papiers bestimmt. Die Nachfrage «nach Arbeitskräften zu Löhnen unter dem orts- und branchenüblichen Niveau bestimmt also die Arbeitsmöglichkeiten der Sans-Papiers. Die Arbeitsnachfrage existiere nicht etwa, weil Menschen ohne Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz sind und es also ein Angebot an «billigen» Arbeitskräften gibt, die nahezu ohne rechtlichen Schutz, zu fast beliebigen Arbeitsbedingungen bereit sind in der Schweiz zu arbeiten. Die Nachfrage nach irregulären Arbeitskräften gäbe es, weil Arbeitgeber gewisse Arbeitsplätze nicht zu orts- und branchenüblichen Bedingungen und damit nicht mit aufenthaltsberechtigten Personen aus der Schweiz oder aus der regulären Arbeitsmigration besetzen wollen oder können.» (Bericht Sans-Papiers im Kanton Zürich, S. 26, 2020, abgerufen 21.2.2022). Dies verdeutlicht, dass es einen Arbeitsmarkt in der Schweiz gibt, in dem die Arbeitsbedingungen so prekär sind, dass nur Menschen dort arbeiten, die gar keine anderen Möglichkeiten haben und die ihre Rechte auf branchenübliche Entlöhnung, auf bezahlten Urlaub und Mutterschutz nicht einfordern können. Es gibt also einen Arbeitsmarkt, der von der prekären rechtlichen Lage der «Illegalisierten» profitiert.

Sans-Papiers leisten einen wichtigen Beitrag
Gemäss einer Studie der Konjunkturforschungsstelle der ETH von 2010 arbeiten in knapp 6% aller Haushalte im Kanton Zürich (25 bis 50 Prozent des gesamten Volumens an bezahlter, extern vergebener Hausarbeit im Kanton Zürich) eine geschätzte Zahl von 8’000 Frauen ohne regulären Aufenthaltsstatus als Hausarbeiterin (Bericht Sans-Papiers im Kanton Zürich, S. 27, 2020, abgerufen 21.2.2022). Diese Frauen ermöglichen es wiederum anderen Frauen und Männern einer Erwerbsarbeit nachzugehen, weil sie sie von Betreuungsarbeiten von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen entlasten. Ihre Arbeit ist unerlässlich für das Funktionieren unserer Gesellschaft.
Bitter ist jedoch, was sich in der Coronakrise deutlich gezeigt und zugespitzt hat: Wenn die Nachfrage nach diesen Arbeitskräften nicht mehr vorhanden ist, werden sie einfach fallen gelassen.