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Gesundheitsversorgung für Sans-Papiers in einem krankmachenden System*
In der Schweiz leben und arbeiten über 70’000 Sans-Papiers – Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung – schätzungsweise 10’000 davon in der Stadt Zürich. Die meisten kommen hierher, um sich und ihren Angehörigen im Herkunftsland ein besseres Leben zu ermöglichen. Die Mehrheit sind Frauen*, viele Mütter, die hier Arbeit suchen, um ihre Kinder finanziell zu unterstützen.
DIE ARBEITSBEDINGUNGEN UND LEBENSUMSTÄNDE VON SANS-PAPIERS MACHEN KRANK
Die meisten Sans-Papiers-Frauen arbeiten in privaten Haushalten und können sich grösstenteils nur knapp über Wasser halten. Da der Arbeitsplatz im «Privaten» ist, sind die Arbeit, die Arbeiterinnen und die Arbeitsbedingungen unsichtbar. Viele Hausarbeiterinnen haben zwischen 5 und 10 Arbeitgeber*innen, wo sie ein paar Stunden pro Woche arbeiten, das bedeutet viel unbezahlte Pendelzeit. Auch der Zeitdruck macht krank: 4 Stockwerke in 2 Stunden sollte Maria**, bei einem ihrer Arbeitgebenden putzen. Sie hat bis zu 10 Stunden pro Tag für 9 Franken die Stunde geputzt. Sie war total erschöpft. Doch Sans-Papiers können sich Kranksein nicht erlauben. Sie haben keine Lohnfortzahlung und ihr knappes Einkommen erlaubt kaum Rücklagen, zumal sie meist so viel wie möglich zu ihren Familien ins Herkunftsland schicken. Wenn sie ausfallen, verlieren sie oft ihre Jobs – meist ohne Kündigungsfrist, sich dagegen wehren, können sie als Sans-Papiers nicht. Das heisst, Sans-Papiers beissen sich durch bis es nicht mehr geht.
Die ständige Angst von der Polizei entdeckt zu werden, traumatische Fluchterlebnisse, zu enge Wohnverhältnisse, Abhängigkeit von Vermieter*innen und Arbeitgeber*innen, führen oft dazu, dass Sans-Papiers viel zu lange Gewalt und Ausbeutung erdulden. Oft kommen Sans-Papiers erst zur SPAZ (Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich) wenn es einfach nicht mehr weitergeht, zum Beispiel, wenn sie so krank sind, dass sie die Symptome nicht weiter ignorieren können.
KEINE KRANKENKASSE – MÖGLICHKEITEN MEDIZINISCHER VERSORGUNG
Das Rote Kreuz Kanton Zürich führt in der Stadt Zürich ein medizinisches Ambulatorium für Sans-Papiers Namens Meditrina. Dort erhalten Sans-Papiers gratis pflegerische und ärztliche Behandlungen. Zudem verfügt Meditrina über ein Netzwerk, welches zu günstigen Tarifen spezialisierte Konsultationen anbietet. Meditrina ist die erste Anlaufstelle für Sans-Papiers, die medizinische Versorgung brauchen.
Bis vor kurzem war es für Sans-Papiers zwingend notwendig, eine Krankenversicherung abzuschliessen, wenn eine ambulante oder stationäre Behandlung im Spital anstand, oder wenn sie in der Notaufnahme behandelt werden mussten. Marcos** landete mit einem Magengeschwür im Notfall. Eine Krankenkasse hatte er nicht, obwohl er seit über 20 Jahren in der Schweiz lebt, worauf die SPAZ notfallmässig eine Krankenversicherung für ihn abschloss. Sans-Papiers haben zwar das Recht auf eine Krankenversicherung, doch die hohen Prämien übersteigen meist ihr Budget, weshalb sie darauf verzichten müssen.
Für Sans-Papiers ist es fast unmöglich, eigenständig eine Krankenversicherung abzuschliessen, weil die Krankenkassen auf einer Kopie des Ausländer*innenausweises oder der Wohnsitzbescheinigung bestehen. Die SPAZ berät Sans-Papiers beim Abschluss der Grundversicherung, reicht entsprechende Anträge ein und stellt – falls nötig – ihre Postadresse zur Verfügung. Sie fordert auch bei der kantonalen Sozialversicherungsanstalt SVA die Prämienverbilligung IPV ein. Da diese im Kanton Zürich relativ tief sind, stellt die Krankenkasse dennoch eine grosse finanzielle Belastung dar.
Um die Situation zu verbessern, führt die Stadt Zürich seit Juni 2021 das 3-jährige Pilotprojekt ‹Medizinische Versorgung für Menschen ohne Krankenversicherung in der Stadt Zürich› durch. Zurzeit werden Sans-Papiers in den Stadtspitälern Triemli und Waid auch ohne Krankenkassenkarte ambulant oder stationär behandelt. Die entsprechenden Kosten werden von den städtischen Gesundheitsdiensten übernommen. Dies bedeutet eine grosse Erleichterung für Sans-Papiers. Bei grösseren Eingriffen und längeren Spitalaufenthalten muss trotzdem eine Grundversicherung abgeschlossen werden.
GESUNDHEITSVERSORGUNG IST EIN MENSCHENRECHT
Ob Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus tatsächlich medizinisch versorgt werden, hängt sehr von den Bestimmungen und der Praxis in den einzelnen europäischen Staaten ab. In der Schweiz gibt es grosse kantonale Unterschiede. Sans-Papiers im Kanton Zürich werden vergleichsweise besser betreut als in umliegenden Kantonen und der Ostschweiz.
** Name geändert
* Dieser Text wurde für die 1. Mai-Zeitung 2024 zum Thema „Kapitalismus macht krank“ geschrieben.
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